Tatsächlich roch es im Flur grundsätzlich nach frisch gemachter Bohnensuppe und Bohnerwachs. Hannes sagte, es rieche wie die Schuhpolitur, die er einmal benutzt hatte. In einem Moment dachte ich an die alten Globuswerke in der Limburger Straße. Dort standen in einem Raum blaue Fässer, auf dem Boden kullerten Wachskügelchen herum und in der Luft lag der gleiche Geruch aus Bohnensuppe und Bohnerwachs. Vor dem Haus roch es nach frisch Gewaschenem, Dienstags und Samstags am stärksten aber auch an den anderen Tagen lag ein leichtes Aroma in der Luft.
Frau Ihbe wohnte im Erdgeschoss. Unbewusst schrieb ich ihr die Bohnensuppe und die Wäsche zu. Wahrscheinlich rumpelte in ihrer Küche eine alte Miele, die Schleuder separat daneben und auf der Küchenhexe dampfe eine gusseiserner Pfanne. Vielleicht brachte aber auch eine Pflegerin das Essen auf einer Assiette, umwickelt mit Alufolie und ihr Sohn kümmerte sich einmal in der Woche um die Dreckwäsche.
Als ich Frau Ihbe das erste mal sah, stand sie in ihrer Wohnungstür wie ein Stück Brotpapier, blaue Augen in den Falten und eine platt gelegene Dauerwelle am Hinterkopf. Sie war bestimmt 200 Jahre alt, ihr verstorbener Mann mehrfacher Kriegsveteran, ihr Sohn allgemein als doof anerkannt und auch sonst schien sie quicklebendig zu sein.
Bei der 200 jährigen Frau Ihbe scheint es sich um ein weit verbreitetes Phänomen zu handeln. In meiner letzten Wohnung war es Frau Kaiser, die schon seit 37 Jahren an Ort und Stelle wohnte. Auch sie hatte einen Sohn, allerdings fand ihn niemand doof. Er kam im Winter ab und zu und „machte das Holz“, so Frau Kaiser. Und in der Karl-Liebknecht-Straße war es Frau Jescheke. Im dritten Stock. Laut ihren Erzählungen hatte sie als Kind ein Katze. Von einem Sohn weiß ich nichts. Sie wurde im zweiten Geschoss in der Kammer hinten links geboren, vor 76 Jahren. Mittlerweile wohnte sie im dritten. Das letzte Mal, das ich sie sah, ging es ihr prächtig. Frau Jescheke zog ernsthaft einen Ortswechsel in Betracht, nur ins Erdgeschoss der Hüfte wegen. Das sind sie, die Ihbes dieser Welt.
Ich warte immer noch, dass mich Frau Ihbe an einem regnerischen Sonntag in ihr Wohnzimmer einlädt, ein schweres Fotoalbum aus einem alten Eichenschrank mit Einschlusslöchern zieht, sie wissen schon, der letzte Krieg 45, und sich mit einem leichten Seufzer neben mir niederlässt. Wissen sie mein Junge, damals vor 100 Jahren, als ich ich hier einzog, sonntags, ja es war an einem Sonntag, ganz ungewöhnlich…. ob uns ihr Sohn zu diesem Anlass wohl ein bisschen Bohnensuppe serviert?