Feldastronauten


Rein ins Flugzeug und wieder raus. Wer in Australien ein wenig weiter als bis in den nächsten Suburb reisen möchte, steigt in den meisten Fällen gezwungenermassen ins Flugzeug. Zumal wenn man als Reiseziel die isolierteste Großstadt der Erde wählt – Perth. Was man unter „isoliert“ zu verstehen hat, wird bei einem Blick auf eine Landkarte deutlich. Adelaide liegt 2600 km entfernt und Darwin 4000 km. Dazwischen zieht sich das Outback dahin, angereichert mit Minenstädten, Goldgräbersiedlungen und Kängurus.

Nach dem Trubel in Melbourne mutet Perth wie ein kleines beschauliches Städtchen an. Trotzdem ist es ein besonderer Ort – das Zentrum einer Legende, die ich oft hörte und die zumindest in ganz Australien immer wieder zum Besten gegeben wird. Es ist die Legende von Western Australia, von Double U and A, vom Boom der Rohstoffindustrie, dem neuen Reichtum draußen in der staubigen Einöde und von einem Land, in dem jeder der auf zwei Beinen stehen kann und arbeiten will Arbeit findet.

Am zweiten Tag meiner Reise ins Wunderland testete ich die Legende auf Herz und Nieren. Mit zwanzig anderen Interessierten jungen Menschen zwängte ich mich in einen winzigen Raum, einem ehemaligen Friseursalon umgewandelt in eine Arbeitsagentur. Hinter dem Schreibtisch eine energiegeladene Zweizentnerfrau mit mindestens zwei Telefonhörern gleichzeitig in ihren Händen, einen für jedes Ohr. Es kostete mich vier Stunden bis ich an der Reihe war. Das Arbeitsamt in Deutschland lässt grüssen, mit dem einzigen Unterschied das jeder der vor mir den Raum verließ eine Arbeit gefunden hatte. In den meisten Fellen handelte es sich mit Sicherheit nicht um Traumberufe, aber um eine Möglichkeit in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen. Genau das wollte ich auch.

Zehn Minuten später war ich der neue Stern am Traktorfahrerhimmel, auserkoren im australischen Weizengürtel Getreide in den kargen Boden zu sähen. Zwei Tagen blieben mir noch in Perth, danach setzte mich ein Bus in Wubin ab. Ein Nest am Straßenrand des Great Northern Highways: ein Hotel, ein Pub, eine Tankstelle und ein Parkplatz für Roadtrains. Die Farm lag noch einmal zwanzig Kilometer entfernt, irgendwo zwischen kahlen Feldern und umgeben von der rotbraunen Weite und ein paar Haufen Känguruscheiße.

Gleich am ersten Tag überkam mich das Gefühl, dass ich schon gelerntes noch einmal lernen musste und Vertrautes besser sofort als später vergessen sollte. Wie zum Beispiel startet man einen 45 Jahre alten Dodge Truck oder wechselt sich der Reifen eines Vierzigtonners genauso wie der eines Autos und was zum Geier heisst Wasserrohrpumpenzange auf englisch? Alles kein Thema bis auf den Dodge. Um dieses wandelnde Rostloch überhaupt zum Starten zu bringen, musste ich fünf Knöpfe drücken, hier ein wenig ziehen und dort ein wenig pressen. Stunden später tuckerte ich mit dem kleinen Traktor der Farm durch die Gegend. Mitten auf dem Acker fiel mir ein, dass ich als Kind einmal Astronaut werden wollte. Anstatt Purzelbäume im All zu schlagen fuhr ich mit der berauschenden Geschwindigkeit von 20 km/h über die Felder.

Am zweiten Tag fühlte ich mich meisterhaft sicher auf meinem hohen Stahlross. Nichts ist einfacher als einen Traktor zu steuern mit einer Automatikschaltung und einem Gashebel bei dem eine Schildkröte für ‚langsam‘ und eine Haase für ’schnell‘ steht. Voller Übermut und dank mangelnder Fahrpraxis schaffe ich es auf einem 200 Hektar großen Feld, eine Windmühle, eingerahmt in die australische Unendlichkeit, dem Erdboden gleich zu machen. Nachdem ich sie mit meinem Anhänger touchiert hatte, stürzte sie jäh zu Boden und liegt seitdem als Haufen Schrott danieder.

Zwei Tage später gleich die nächste Herausforderung. Man traute mir zu mit dem großen Traktor der Farm keine größeren Schäden anzurichten, stattdessen fleißig Weizen für koreanische und japanische Nudeln zu sähen. Beim ersten Anblick des Ungetüms setzten sich mein Mut und meine Zuversicht hinter der ersten Hecke ab und spurteten davon. Ein Traktor, zwei Anhänger und eine Saatmaschine. Die gesamte Konstruktion war breiter als eine beschauliche Landstrasse und genauso lang wie zwei Reisebusse. Kurz vor einem zwei minütigen Crashkurs erzählte mir mein Chef eine Geschichte von einem Fahrer, der mit der gleichen Maschine in einer Nachtschicht drei Strommasten gerammt und vier weitere umgefahren hatte, den halben Landkreis im Dunkeln ließ und nichts davon mitbekam. Die Steuerung ist einfach: ein kleiner Joystick dient als Ganghebel, ein Schiebeschalter, eingeklemmt zwischen dem Bild eines Hasen und einer Schildkröte ist das Gaspedal, ein Lenkrad ist vorhanden aber der Traktor fährt mit Hilfe von GPS alleine. Zwei Stunden hatte ich einen Beifahrer, danach ließ man mich alleine. Ich kam mir vor wie zu meiner Fahrprüfung. Umgeben von einem gelben Stoppelmeer malte ich mir sämtliche erdenklichen Schreckensszenarien aus. Mit feuchten Händen legte ich den Gang ein und schob das Gas Richtung Haase. Es ging voran, mit unglaublichen achteinhalb Kilometern in der Stunde raste ich über den Acker. Nach zwei Minuten meldet sich das GPS zu Wort, in 50 Metern musste ich um die Kurve lenken. Dank der Hydraulik konnte ich das Lenkrad mit einem Finger bewegen. Für den Anfang benutze ich noch beide Hände, steuerte die gesamte Gerätschaft in einem weiten Bogen einmal um 360 Grad und fuhr geradeaus bis ein erneutes Piepen die nächste Wendung ankündigte. In der Zwischenzeit konnte ich Frühstücken oder einen Handstand auf den Fahrersitz machen. Der Traktor würde trotzdem auf zwei Zentimeter genau eine exakt Bahn ziehen. Bei Feldern die drei Kilometer lang sind, konnte ich mir stundenlang in der Nase bohren oder dem aufwirbelnden Staub hinterher schauen bevor ich ins Geschehen eingreifen musste.